Erinnerungen – 80 Jahre nach Kriegsbeginn

Eine Spurensuche

Fr, 1. Nov. 2019

Am 1. September 1939 begann der 2. Weltkrieg. Wir haben uns 80 Jahre danach auf Spurensuche begeben und sind auf bewegende Geschichten gestoßen.

Mein liebes Sieglindchen sende Dir und Muttchen recht herzliche Sonntagsgrüße und wünsche Dir baldige Genesung.
Schade, dass ich nicht bei Dir sein kann, hoffentlich kommt bald der Tag an dem wir uns wiedersehen.
Alles Gute Vati. Und auf ein baldiges Wiedersehen Und das steht nochmal Dein Vati

Vor 80 Jahren, am 1. September 1939, begann der 2. Weltkrieg.  Bis zum Kriegsende im Jahr 1945 haben Schätzungen zufolge circa 65 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Welche Erinnerungen haben Menschen aus der Region an dieses dunkle Kapitel der deutschen Geschichte?
Wir haben uns auf Spurensuche begeben. All unsere Zeitzeugen -meist Frauen - waren während des Krieges Kinder oder Jugendliche. Sie haben vorher kaum oder gar nicht über ihre Erinnerungen gesprochen - vielleicht konnten sie es auch nicht.

Bei der Suche nach Zeitzeugen sind mir die Erzählungen meiner Großmutter eingefallen. Und, ich habe meine Mutter nach ihren Erinnerungen gefragt - wir besuchen sie in Neustadt.
Mein Großvater war bereits 40 Jahre alt, als er im Jahr 1942 zum Militärdienst eingezogen wurde. Meine Mutter war damals fünf Jahre alt. Sie erinnert sich.

Sieglinde Kupfer - 25.01.1937 Neustadt/Coburg
„Und mein Vater hat jeden Tag geschrieben, wir haben jeden Tag Post gekriegt, meine Mutter hat jeden Tag Post gekriegt und ich habe jeden Tag eine Karte gekriegt.

Fotos und Dokumente hat meine Mutter aufbewahrt. Sie lebte mit ihrer Familie in Ostpreußen, heute Litauen. Erst nach Kriegsende kam sie in die Region.
Genau wie unsere Zeitzeugin Margit Möckl, die wir in Niederfüllbach besuchen und deren Erinnerungen hellwach sind:

Margit Möckl - geb.15.10.1926 Niederfüllbach
„1. September 1939 war Schulanfang an allen Schulen im großdeutschen Reich und Böhmen war ein Jahr lang okkupiert, besetzt, heimgeholt, wie sie wollen.
Und ich war ausstaffiert für Schulanfang, die Mama war eine Schneiderin und hat mich toll neu eingekleidet – das gab ein gutes Gefühl
Ich bin früh kurz vor sieben zum Nachbarn und wir hatten eine Stunde Schulweg ins Städtchen, auf einmal kam aus dem Radio: Und seit fünf Uhr und etwas wird zurückgeschossen. Und dann kam die Mutter meiner Freundin: Kinder, Kinder, das ist Krieg, das ist Krieg.“

Krieg?
Darunter konnten sich die Kinder nichts vorstellen. Es sei eine Mischung aus Angst, aber auch Neugierde gewesen, erinnert sich Margit Möckl.
Ganz anders war das bei ihren Eltern, diese hatten ja bereits den 1. Weltkrieg erlebt.

Margit Möckl - geb.15.10.1926 Niederfüllbach
„Als ich heimkam, war meine Mutter ganz aufgeregt und hat mir schon vorgeführt, was sie im Kolonial- und Gemischtwarenladen des Dorfes gehamstert hatte: Nähgarn und Zahnpasta und Schuhcreme - solche Sachen. Und mein Vater hatte Frühschicht, der kam um zwei Uhr heim und der war also voll am Boden, der hat gesagt: Meine Güte schon wieder Krieg´.“

Die meisten waren Familienväter und hofften auf ein baldiges Kriegsende. Die Männer kamen aus allen Volksschichten und politischen Lagern. Von den als SS -angehörigen Personen nahm man sich mit politischen Äußerungen in acht.

Der Vater hat seine Erinnerungen aufgeschrieben, für seine Kinder und Enkelkinder. Das Erlebte hat er nie vergessen.

Margit Möckl - Zeitzeugin
„Er hat einfach diese Willkür und dieses mörderische Regime - da kamen Sonderkommandos, haben die Buben antreten lassen, Hosen runter und wer beschnitten war, wurde mitgenommen, habe ich schriftlich vom Papa ja.
„Und wenn ein Mensch, der von vornherein gegen dieses Regime war und gezwungen ist, das jahrelang auszuhalten, da hat er sich wahrscheinlich in Krankheiten geflüchtet.“

Unsere Suche führt uns nach Seßlach zu Käthe Müller, die in der Lausitz geboren wurde. Während des Krieges war sie ein junges Mädchen. All die Jahre habe sie nicht mehr an diese Zeit gedacht.

Käthe Müller - geb.15.06.1925 Seßlach
„Es war halt alles verdunkelt zu dieser Zeit. Da durftest Du auch kein Licht brennen lassen und nichts. Man musste ja nachts immer die Fenster und alles verdunkeln. Das war ja furchtbar.“

Käthe Müller lernte Hotelfachfrau, als sie einberufen wurde, als Flakhelferin.
Flakhelfer waren Jugendliche, die in den letzten Jahren des 2. Weltkrieges in den Flakstellungen der Luftwaffe und der Kriegsmarine eingesetzt wurden. Es waren meist Ober- und Mittelschüler, aber auch Lehrlinge aus dem gewerblichen und kaufmännischen Bereich, wie Käthe Müller. Eine Wahl hatte die Jugendlichen damals nicht:

Käthe Müller - geb.15.06.1925 Seßlach
„Naja, was hast Du denn machen sollen. Ich bin dann, wo ich dann fertig war und ausgelernt habe, fort. Ich musste fort und dann bin fort. Die Eltern haben auch gesagt, ja was willst Du denn machen und dann bin ich halt fort.“ 

Käthe Müller war am Berliner Flughafen stationiert, wo sie in einem Offizierscasino arbeitete und Bombenangriffe hautnah erlebte.

Käthe Müller - geb.15.06.1925 Seßlach
„Wir waren halt da im Offiziers Casino und wenn wir rausgehen, da war halt der Platz da und da sind wir in die Löcher gesprungen und dann ist halt eine Bombe runtergefallen. Wir haben bloß ein paar Brocken abgekriegt. Aber, stellen Sie mal vor, wie lange das her ist, 45.“ Und wir mussten weiter machen, wir konnten nichts sagen.“

Um sich vor Bombenangriffen zu schützen, hat der Großvater von Gerti Friedrich- einer weiteren Zeitzeugin- Vorsorge getroffen. Aufgewachsen ist Gerti Friedrich im Sudetenland, heute lebt sie in Coburg.

Gerti Friedrich - Jahrgang 1932 Coburg
„Mein Großvater hat auch im Garten auf der Wiese einen kleinen Bunker gebaut und da haben wir Betten und alles rein und haben halt dann da drinnen gewartet bis wieder Entwarnung kam.
Der hat das ausgehoben alles, so ein tiefes Loch rein und hat dieses Gras drüber und da haben wir dann zu viert darin gewartet bis die Entwarnung kam.“

 

Unsere Zeitzeuginnen kamen nach dem 2. Weltkrieg in die Coburger Region. Aber, wie haben die Menschen in der Region die Kriegszeit erlebt? Meine Forschungen führen mich zum Soldatenfriedhof nach Coburg in das Friedensmuseum nach Meeder, wo Exponate lagern: Patronenhülsen umfunktioniert zu Feuerzeugen,
Stahlhelme zu Küchensieben aus Fallschirmseide wurden Kleider geschneidert-Not machte erfinderisch.

Hier treffen wir Günther Lorenz, der als kleiner Junge den Krieg auf dem Land hinnehmen musste.

Günther Lorenz - Geb. 08.08.1938 Meeder
„Also vom Krieg selber habe ich nur die Erinnerung, wie sie Schweinfurt bombardiert dann haben, nachts dann immer. Da ist der Putz von den Häusern runter gebröckelt, so hat das gelunnert.
Ja, wir haben freilich Angst gehabt, man kann sich ja vorstellen, wenn man da zugegen war, wenn man da gewohnt hat, wenn bei uns die Erde bebt praktisch, aber das war halt so.“ 

Wir suchen nach Spuren und finden diese am Dampferhaus in der Nähe des Bahnhofes. Dort wurden einst die Züge beschossen.

Lorenzs Vater war während der letzten Kriegsjahre auf der Krim eingesetzt. Dort sei er schwer verwundet nach Hause gebracht worden, den Körper voller Splitter. Ein Weihnachtsfest ist ihm besonders in Erinnerung geblieben.

Günther Lorenz - Meeder
„Und das war am Heiligabend und da hat er vor Schmerzen gebrüllt. Wir haben den Doktor wiedergeholt und sofort wieder ins Krankenhaus, Blutvergiftung durch diesen Splitter da. Und das war am Heiligabend und an seinem Geburtstag am ersten Feiertag ja das Beim amputiert worden.“

Meine Großmutter und meiner Mutter haben, nach einigen Tagen der Funkstille, wieder eine Nachricht erhalten. 

Sieglinde Kupfer - 25.01.1937 Neustadt   
„Und weiß Gott, dann hat der Briefträger geklingelt. Er hat ein kleines Päckchen gehabt. Und das habe ich dann mitgekriegt, ich habe mich gefreut: Siehst Du Mama, jetzt schickt er sogar ein Päckchen. Da waren aber dann seine Sachen drinnen, was er bei sich gehabt hatte.“

Sehr geehrte Frau Prussas, es ist eine traurige Pflicht, der ich nachkomme, wenn ich Ihnen heute Mitteilung machen muss, dass ihr Gatte für Führer, Volk und Vaterland den Tod gefunden hat.

In dem Päckchen befanden sich der Brief, außerdem die Brille meines Großvaters und seine Brieftasche.
Wie viele Zeitzeugen konnte meine Mutter bis heute nur schwer über das Erlebte reden. Meine Großmutter hat den Verlust ihres geliebten Ehemannes bis zu ihrem Tod im Jahr 2002 nie überwunden. Mein Großvater Wilhelm Prussas ist eines von circa 65 Millionen Opfern, die im 2. Weltkrieg ihr Leben lassen mussten.

Wir danken unseren Zeitzeugen

Sieglinde Kupfer

Margit Möckl

Käthe Müller

Gerti Friedrich

Günther Lorenz

Ohne sie wäre dieser Film nicht möglich gewesen.

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